Voll auf Kurs: optimierte Energieerzeugung dank KI
Datenoptimierte Wärmeprognosen und Fahrplanerzeugung bei KWK-Anlagen
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) gewinnen in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Dabei ist ihr optimaler wirtschaftlicher Einsatz aufgrund der Volatilität auf den Strom- und Gasmärkten sowie regulatorischen Vorgaben mit viel Aufwand verbunden. Eine von STEAG New Energies (SNE) im Verbund mit der scieneers GmbH entwickelte datenbasierte Lösung, deren Proof of Concept in der Digitalschmiede von VINCI Energies entstand, macht die Planung und Steuerung jetzt deutlich gewinnbringender.
Der Artikel dazu erschien im Juli 2022 in der Fachzeitschrift Heat & Power und kann hier heruntergeladen werden. Zur besseren Lesbarkeit, gerade auf Mobilgeräten, haben wir den Artikel im folgenden noch einmal in unseren Blog gestellt:
Auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Energieerzeugung, die auch den Anforderungen der Energiewende und damit einem ressourcenschonenden Verbrauch Rechnung trägt, spielen KWK-Anlagen eine immer größere Rolle. Da sie die bei der Stromerzeugung entstehende Wärme als Wärmeenergie öffentlichen und privaten Verbrauchern bereitstellen können, sind sie deutlich effizienter als Anlagen ohne Kopplung. Obwohl sie aus technischer beziehungsweise betrieblicher Sicht oft für einen dauerhaften Betrieb geplant wurden, ist ein wirtschaftlich effizienter Betrieb in dieser Form bei vielen Anlagen nicht mehr möglich. Hintergrund sind aktuell geltende Regularien sowie Schwankungen an den Strom- und Gasmärkten, die den Betrieb verkomplizieren und in der bisherigen Form nur eingeschränkt gestatten.
Um den Betrieb zu optimieren und damit effizienter und wirtschaftlicher zu gestalten, hat Energieversorger STEAG New Energies (SNE) zusammen mit den Data Scientists der scieneers GmbH eine skalierbare und datengetriebene Lösung entwickelt. So gelingt es, die Kosten der Wärmeerzeugung eines Standortes – bestehend aus einer oder dem Zusammenschluss mehrerer Erzeugeranlagen – zu minimieren und zugleich die Stromerzeugung zu optimieren. Optimierung meint hier, den Strom dann zu erzeugen, wenn er vom Markt gebraucht wird. Wie die Idee dazu entstand und welche Technik dahintersteckt, erklärt der folgende Beitrag.
Blockheizkraftwerk der Firma MWM
Ein komplexer – und ineffizienter Status quo
KWK-Anlagen, zu denen auch Blockheizkraftwerte (BHKW) zählen, werden meist dann betrieben, wenn auch die Wärme genutzt werden kann. Der gekoppelt erzeugte Strom wird entweder vor Ort genutzt oder ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Meist wird hierbei nicht geprüft, ob es wirtschaftlich sinnvoller wäre, die Wärme alternativ zu erzeugen und den Strom vom Markt zu beziehen.
Es fehlte bislang schlicht an der automatisierten Datenlieferung und ihrer Auswertung, um kosteneffiziente Marktzeitpunkte zur gekoppelten Wärme- und Stromerzeugung zu ermitteln sowie den geeigneten Erzeuger (etwa ein BHKW oder ein Gaskessel) zur kostenminimierten Wärmedeckung vor dem Hintergrund der aufgeheizten Energiemärkte zu bestimmen. Für einen effizienten Betrieb sollte der Vorgang daher möglichst automatisiert erfolgen. Das Ergebnis ist ein „Fahrplan“, der festlegt, zu welcher Stunde, welcher Wärme- oder Stromerzeuger an einem Anlagenstandort zum Einsatz kommt.
Seit dem 1. Oktober 2021 sind Anlagenbetreiber ab 100 kWel durch Inkrafttreten des Redispatch 2.0 dazu verpflichtet, einen solchen Fahrplan für die eigene Anlage an den Netzbetreiber zu liefern.
Überwachungsarmaturen im BHKW Kreislauf, um Temperaturen/Drücke im laufenden Betrieb vor Ort überwachen zu können
Blick in die Digitalschmiede von VINCI Energies, eine Projektwerkstatt, in der Kunden, Partner und Hersteller u.a. gemeinsam Prototypen entwickeln können
Von der Initialisierungsphase zum Proof of Concept
Als erfahrener Anlagenbetreiber verfügte SNE zwar über das Wissen, wie ein mathematisches Modell zur Optimierung von Stromfahrplänen genutzt werden kann. Offen war allerdings der Weg, eine skalierbare Lösung umzusetzen, um Fahrpläne auch für mehrere Anlagen in annehmbarer Zeit und Qualität zu erzeugen und auf diese Anlagen aufzuspielen. STEAG New Energies wandte sich daher an den langjährigen Partner VINCI Energies. Der weltweite Systemintegrator betreibt mit der Digitalschmiede eine bundesweit bekannte und international agierende Projektwerkstatt, in der Kunden, Partner und Hersteller gemeinsam an Lösungen arbeiten und Prototypen entwickeln können.
„Nachdem STEAG mit der Herausforderung auf uns zukam, haben wir mit der Planung eines Hackathons über unseren Ideencluster begonnen und dazu verschiedene Unternehmen aus dem Bereich Data Engineering und Data Science eingeladen – darunter war auch die scieneers GmbH aus Karlsruhe“, so Jörg Bastel, Leiter der Digitalschmiede von VINCI Energies.
Der Lösungsansatz, den die Experten für Datenanalysen präsentierten und der durch VINCI Energies beratend unterstützt wurde, konnte am Ende alle überzeugen. Aus der Idee entstand ein Proof of Concept zur Erzeugung von Wärmeprognosen, einschließlich der Auswahl der zur Umsetzung notwendigen Technologie, für dessen Implementierung scieneers beauftragt wurde.
Moderne Datenanalyse für Wärmeprognosen und Fahrplan-Optimierung
Als technische Plattform greifen SNE und scieneers auf die Managed Services der Microsoft Azure Cloud zurück. Diese stellt nicht nur modernste und hochverfügbare Technologien im Bereich Platform & Software as a Service (PaaS, SaaS) bereit, sondern erleichtert auch die Handhabung, indem der Betrieb der Services vollständig von Microsoft übernommen wird. Der Rückgriff auf derartige Cloud-Dienste ist zudem sehr kosteneffizient, da für analytische Workloads – sprich Datenanalyse – nur die tatsächlich benötigte Rechenzeit abgerechnet wird.
Vergleich zwischen prognostizierter und tatsächlicher Wärmeerzeugung im Tagesverlauf
Einsatzplanung eines BHKW (Elektrische Leistung in kW) über einen gegebenen Zeitraum gegenüber dem Strompreis (in EUR/MWh)
Um die Lösung kontinuierlich weiterzuentwickeln und zugleich für einen stets stabilen Betrieb zu sorgen, werden die Verfahren Continuous Integration (CI) und Continuous Delivery/Deployment (CD) mithilfe der Tools von Azure DevOps angewendet. Dadurch lässt sich zusätzlicher oder verbesserter Programm-Code von der Integrations- und Test- bis hin zur Bereitstellungs- und Implementierungsphase problemlos hinzufügen, während die Stabilität und der reibungslose Betrieb der Lösung sichergestellt werden.
Das Data Engineering, also die Aufbereitung und Integration verschiedener Daten wie Telemetrie- und Stammdaten sowie diverser externer Datenquellen, erfolgt über den Dienst Azure Synapse Analytics. Dabei handelt es sich etwa bei einem Anlagenstandort um Daten zur elektrischen und thermischen Leistung. Azure Synapse Analytics nutzt wiederum den Dienst Azure Data Lake, ein skalierbarer und flexibler Datenspeicher, der die dort historisiert gespeicherten Daten sowie ihre Verknüpfungen durchgehend für Big-Data-Analysen bereithält. Die Aufbereitung der Daten erfolgt mithilfe mathematischer Operationen wie Interpolation oder der Detektion sowie dem Entfernen von Ausreißern. So entstehen aufbereitete Zeitreihen mit einer für die Prognose notwendigen Datenqualität.
Für die anschließende Analyse nutzen SNE und scieneers Modelle künstlicher Intelligenz (KI) in Azure Machine Learning, die auf Basis der generierten Daten trainiert werden. Hierbei kommen verschiedene State-of-the-art-Architekturen auf Basis sogenannter künstlicher rekurrenter (rückgekoppelter) neuronaler Netze zum Einsatz. Die rekurrente Verschaltung von Modellneuronen wird dazu genutzt, zeitlich codierte Informationen in Daten zu erkennen. Über die so durchgeführte Aufbereitung und Analyse der Daten entsteht ein digitales Abbild einer Anlage, worüber sich dann Wärmeprognosen und die Fahrplan-optimierung bereitstellen lassen.
Die erzeugten Wärmeprognosen bilden die Grundlage, um einen kostenoptimierten und effizienten Fahrplan für die Erzeugungskomponenten zu berechnen. Dazu verwendet SNE ein mathematisches Verfahren aus dem Bereich des Operations Research. Konkret wird ein ganzzahliges lineares Optimierungsproblem gelöst, wobei der Fokus darauf liegt, die Betriebskosten zu minimieren und gleichzeitig die Erlöse durch den Stromverkauf zu maximieren. Zusätzlich muss ein Fahrplan unterschiedlichste Nebenbedingungen einhalten. Unter anderem ist für eine Lösung genau so viel Wärme durch die Erzeugungsanlagen zu produzieren, dass der zuvor vorhergesagte Wärmebedarf gedeckt ist. Die so erzeugten Fahrpläne erfüllen somit alle technischen Voraussetzungen und können in die Erzeugungsanlagen eingespielt werden.
Planen auch Sie ein Daten-Projekt oder wollen KI in Ihrem Unternehmen einsetzen?
Gerne berät Sie unser Director of Data Science
Dr. Lars Perchalla
in einem unverbindlichen Erstgespräch.
Mehr Effizienz bei kostenoptimiertem Betrieb
Der durch die Lösung realisierte digitale Zwilling einer KWK-Anlage bezieht relevante Attribute wie beispielsweise Wirkungsgrade oder Teillastverhalten ein. Hinzu kommt die Berücksichtigung technischer und betrieblicher Spezifika der jeweiligen Anlagenstandorte, wie sie STEAG New Energies als Know-how-Träger beisteuert. Um die Optimierung der Fahrpläne vollumfänglich zu realisieren, sind ebenfalls die prognostizierten Strompreise sowie der Wärmebedarf eines betrachteten Standorts ausschlaggebend. Letzterer konnte durch den Einsatz modernster Methoden im Bereich Data Science und KI durch scieneers so weit verbessert werden, dass die Prognosen bis auf eine mittlere Abweichung von unter zehn Prozent den tatsächlichen Wärmebedarf treffen.
„Die erfolgreiche und schnelle Umsetzung zeigt, dass der Weg über Projektwerkstätten wie die Digitalschmiede die Entwicklung innovativer digitaler Lösungen erleichtert und beschleunigt. So kommen die besten ihres Faches zusammen, um ihre jeweilige Expertise einfließen zu lassen“, sagt Jörg Bastel von VINCI Energies.
STEAG New Energies nutzt das implementierte Werkzeug bereits an einer Vielzahl ihrer KWK-Anlagenstandorte in einem Leistungsspektrum von einem bis zehn MWel. Das Werkzeug ist allerdings für Anlagen beliebiger Leistungsklassen einsetzbar.
Zusammengenommen entstehen täglich optimierte Fahrpläne in einem Zeitintervall von einer Viertelstunde für einen kurzfristigen Zeithorizont von ein bis drei Tagen, die sich anschließend direkt in die Leittechnik eine Erzeugungsanlage einspielen lassen. Prognosen für den Wärmebedarf sind zwischen drei bis fünf Tage in die Zukunft möglich; dabei kann durch SNE auf historische Daten zwischen 20 Tagen und mehreren Jahren zurückgegriffen werden. Dank der Lösung gelingt es SNE ihre Arbeitsprozesse zu digitalisieren und zu automatisieren. Zudem werden betriebliche und regulatorischen Anforderungen erfüllt. Durch die Optimierung von Fahrplänen und genauer Wärmeprognosen wird ein klarer wirtschaftlicher Nutzen durch einen effizienteren und kostengünstigeren Einsatz von Anlagen erzielt.
Autoren
Zitatgeber
Benjamin Reinhard, Produktentwicklung bei der Steag New Energies GmbH
BenjaminMax.reinhard@steag.com, https://www.steag-newenergies.com/de/
Stefan Kirner, Director Business Intelligence bei der scieneers GmbH,
Jörg Bastel, Leiter der Digitalschmiede von VINCI Energies
joerg.bastel@vinci-energies.de, https://digitalschmiede.vinci-energies.de/
Dürfen wir auch Sie unterstützen? – Kontaktieren Sie uns!
Gern berät Sie unser Director of Data Science
Dr. Lars Perchalla
in einem unverbindlichen Erstgespräch.
Ihre Anfrage